Nachricht von einem sterbenden Freund

Ich will deine Antworten, deine guten Ratschläge nicht. Ich will deine Theorien über das "Warum" oder "Wie" nicht hören. Ich brauche dein Mitleid nicht. Durch Versuche mancher Besucher, mich zu trösten, fühle ich mich nur noch schlechter. Ich bin ein Mensch, genau wie du, und sehne mich nach Echtheit.
Sei einfach präsent bei mir. Hör zu. Gib mir Raum. Halte meine zitternde Hand, manchmal. Deine Aufmerksamkeit ist so wertvoll für mich. Dein Dasein spricht Bände.
Wenn du dich unwohl fühlst, brauchst du dich nicht zu schämen. Wenn du nicht weißt, was du zu mir sagen sollst, ist das in Ordnung; mir geht es manchmal genauso. Wenn du dich angewidert, wütend, unsicher oder ängstlich fühlst, ist das in Ordnung und ich liebe dich dafür. Du bist auch ein Mensch.

Leg dein Lehrbuchwissen jetzt beiseite. Versuche nicht, "bedingungslose positive Wertschätzung" zu zeigen; das fühlt sich für mich so falsch an. Vergiss das "Einfühlungsvermögen" - ich möchte, dass du mir näher kommst als das.
Siehst du, ich bin du, in Verkleidung. Das sind deine gebrochenen Knochen, deine flachen Atemzüge, deine verdrehten Gliedmaßen. Ich bin dein Spiegel; du siehst dich selbst.

Versuche nicht, für mich stark zu sein. Ich bin kein Opfer. Brich zusammen, wenn du musst. Weine, wenn du weinen musst. Trauere um die zerbrochenen Träume und die verlorene Zukunft. Lass auch die Vergangenheit entschwinden. Begegne mir hier und jetzt, im Feuer der Gegenwart, mit der Fülle deines Seins.
Ich spreche jetzt in einer uralten Sprache.
Ich möchte, dass du Zeuge bist.