Die Ebenen des BARDO
Es gibt mehrere Ebenen der BARDO- Erfahrung.
- Das BARDO der Geburt. - Das BARDO des Träumens. - Das BARDO des Lebens. - Das BARDO des Sterbens. Hier geschehen die Auflösung der Elemente des grobstofflichen Körperals auch die Auflösung des individuellen Bewusstseins. - Das BARDO des Todes - Das BARDO der Entstehung/ Wiedergeburt. Es gibt eine Ebene des Daseins, die zwischen Tod und Wiedergeburt erfahren wird. Diese Lehren des BARDO sind nicht religiös im eigentlichen Sinn. Sie sind eine Wissenschaft des Bewusstseins und fordern uns heraus, unsere kritische Intelligenz auf unsere Erfahrungen anzuwenden. Durch das tiefe Verstehen und die Praxis des BARDO ist es möglich, die Verwirrung über den Tod zu durchdringen. In dieser Erfahrung der BARDO- Meditation transzendieren wir die Kluft zwischen Leben und Tod, die die beiden zu gegensätzlichen Erfahrungen macht, und entdecken unsere höchste unzerstörbare Bewusstheit. Diese Geschichte ist unsere Geschichte. Es ist die Geschichte unserer Körper und Persönlichkeiten, unserer Geburten und Tode, und die unbestreitbare Geschichte unseres Daseins als menschliche Wesen. Auch wenn wir über die Tatsachen des Lebens und die Unvermeidbarkeit des Todes wissen, ist es eine Wirklichkeit, der wir selten begegnen. Auch wenn wir uns nicht mit dem Tod konfrontieren oder der Angst begegnen wollen, die es in uns erzeugt, wird es uns nicht helfen, vor dieser unbequemen Wahrheit davonzulaufen. Die Wirklichkeit wird uns am Ende einholen. Auf dem Totenbett wird keine Zeit sein, zu lernen, wie wir mit der Situation umgehen; keine Zeit, die Weisheit und das Mitgefühl zu entwickeln, die uns geübt durch die Landschaft des Todes führen werden. Wir werden dem begegnen müssen, was immer wir dort erleben werden, so gut wir können- und das ist ein wirkliches Glückspiel. Warum sollten wir solch ein Risiko eingehen? Wir haben die Wahl: uns darauf vorzubereiten, den unbequemsten Momenten unseres Lebens ins Gesicht zu sehen, oder diesen Momenten unvorbereitet zu begegnen. Wenn wir uns dazu entschließen, dem Tod direkt ins Gesicht zu sehen, dann können wir sicher sein, diese Begegnung in eine tiefe Erfahrung zu verwandeln, die unserer spirituellen Entwicklung ungeahnten Nutzen bringen wird. Viele der Weisheitstraditionen dieser Welt haben sich der Frage zugewandt, wie die Erfahrung des „Sterbens“ in ein bedeutungsvolles und machtvolles Ereignis verwandelt werden kann, an dem man mit seiner eigenen tieferen oder höheren Natur in Verbindung treten kann. Der Satz von Woody Allen “ Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich möchte bloß nicht dabei sein, wenn er geschieht“ ist eine Widerspiegelung des Denkens der meisten Menschen in der Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts. In Wirklichkeit versuchen wir, den Tod völlig zu vermeiden. Wir haben Angst, darüber zu sprechen oder ihn anzusehen, außer im Fernsehen, denn wir haben ein angstvolles und negatives Bild des Todes erschaffen. Wir glauben, dass der Tod das Ende von allem ist, was wir sind, der Verlust von allem, was uns teuer ist. Und doch hindert uns unsere Angst daran, unsere eigene Geschichte zu wissen, die letztendlich eine Geschichte von Erneuerung und Befreiung ist. Die Wirklichkeit ist die, dass Tod und Geburt ständig stattfinden. Es geht darum, zu lernen, dass der Tod Teil des Prozesses des Lebens ist; er geschieht in jedem Moment- nicht nur am Ende des Lebens. Wie lernen wir, diese Wahrnehmung des Todes von Moment zu Moment als Teil unseres Lebens zu erkennen? Um über unsere abstrakten Ideen über den Tod hinauszugehen, müssen wir tief in unser Bewusstsein und unsere Herzen schauen. Es bedeutet, dass wir darüber nachdenken, was der Tod für uns individuell bedeutet- nicht aus medizinischer oder technischer Sicht- wie z.B. das Ende der Atmung oder des Herzschlags, und nicht aus der Perspektive unserer religiösen oder kulturellen Traditionen. Anstelle dessen müssen wir uns fragen: Was bedeutet der Tod für mich persönlich, aus meiner Lebenserfahrung? Was ist mein tiefstes intuitives Gefühl darüber, was der Tod ist? Dies ist eine wichtige Frage, denn wie wir den Tod definieren, wird zum größten Teil darüber entscheiden, wie wir unseren eigenen Tod erfahren werden. Und es wird ebenso unser innerer Führer darüber, wie wir gut und sinnvoll leben. Um gut zu sterben, müssen wir gut leben. Könnte es sein, dass wir den Tod fürchten, weil wir nicht wissen, wie wir das Leben total und gut leben? Um unsere Furcht vor dem Tod zu transformieren und zu überwinden, müssen wir in Kontakt mit dem Tod treten, anstatt ihn zu vermeiden. Wir müssen dem Tod durch wirkliche Reflektion begegnen, mit einem klaren und ruhigen Verstand, nicht nur mit den Bildern des Todes, die unsere Gedanken auf der Basis von Aberglauben und Gerüchten erschaffen haben. Wir müssen diesen Zustand des Todes direkt und nackt sehen und fühlen. Der Weg, dem Tod völlig zu begegnen, ist der, jeden Tag in jedem Moment zu sterben, in allem: unseren Gedanken, unserer Agonie, unseren Emotionen, unseren Liebesbeziehungen, selbst unserer Freude. Tod bedeutet nicht nur, zu einem Ende zu kommen. Er bedeutet auch, zu einem Anfang zu kommen. Tod ist ein Prozess der Veränderung. Das zu Ende gehen ist weder positiv noch negativ; es ist einfach die Wirklichkeit. Tod war Teil der Vereinbarung, als wir die Idee der Geburt akzeptierten. Unser Vertrag zum Eintreten in diese Welt kam zusammen mit dem Vertrag, sie zu verlassen. Und so kommt jeder Moment zu einem Ende. Jede Geschichte hat ein Ende, egal ob das Ende glücklich oder traurig ist. Es ist einfach so- wenn ein Moment oder eine Lebenszeit endet, können wir nicht darüber verhandeln. Es gibt keinen Platz für Verhandlungen. Indem wir diese Wirklichkeit anerkennen, finden wir den Weg, wie wir jeden Tag mit dem Tod in Kontakt kommen. Letztendlich ist das, was wir Leben nennen, nur eine Illusion einer Kontinuität- eine Folge von Momenten, ein Strom von Gedanken, Emotionen und Erinnerungen, die wir als unseren Besitz empfinden. Und daher kommen auch wir ins Dasein, als die Inhaber dieser Kontinuität. Wenn wir dies jedoch überprüfen, entdecken wir, dass diese Kontinuität traumähnlich ist, illusorisch. Sie ist keine andauernde substantielle Wirklichkeit. Sie besteht aus einzelnen Momenten, die aufsteigen, sich auflösen und wieder aufsteigen, wie Wellen in einem Ozean. Deshalb steigt dieses „ich“ jeden Moment auf und löst sich auch in jedem Moment wieder auf. Es geht nicht von einem Moment zum nächsten weiter. Das „ich“ eines Moments löst sich auf und ist fort. Das „ich“ des nächsten Moments ist völlig neu. Diese beiden „ich’s“ kann man nicht als gleich oder verschieden bezeichnen, und doch werden sie bei einem begrifflichen Denken als ein einziges, ständiges Selbst bezeichnet: „Ja, das bin ich…“ Innerhalb dieser Strömung können wir deutlich den Prozess des Todes erkennen: die Auflösung flüchtiger Gedanken, das Ausklingen vibrierender Emotionen, die schnellen Veränderungen unserer Wahrnehmungen- ein Klang, eine Berührung geschieht und ist vorüber. Aber genau in dem Augenblick, in dem wir das Ende eines Moments erfahren, erfahren wir den Vorgang der Geburt; eine neue Welt wird geboren, während neue Gedanken und lebendige Emotionen als Antwort auf wechselnde Wahrnehmungen aufsteigen. Deshalb ist das Ende eines Moments auch eine Erneuerung, so wie es nur durch den Tod möglich wird, das etwas Neues ins Dasein tritt. Weil wir den Tod so sehr fürchten, sehen wir nicht das Offensichtliche: dass das, was die Macht hat, sich selbst zu erneuen, ewig ist, während das, was ununterbrochen bleibt, keine erschaffende Kraft hat. Ohne das Spiel von Geburt und Tod wäre die Welt stagnierend. Nichts würde sich für lange Zeit verändern. Ohne das ständige Spiel von Tod und Wiedergeburt wären unsere Leben genau so festgelegt und sinnlos- nur die Folgen wären eine Qual. Nichts würde sich je verändern. Wie wunderbar und erfrischend ist es im Gegensatz dazu, diese momentanen Veränderungen zu erleben, von dieser Vergänglichkeit gesegnet zu sein. Wenn wir beständig wären, unempfindlich gegen Veränderungen und Tod, dann wäre es sinnlos, etwas zu suchen, das über uns selbst hinausgeht oder außerhalb unserer selbst ist. Wie auch immer wie es nennen- das Wirkliche, das Kreative, das göttliche Mysterium, die heilige Welt oder die Gnade Gottes- wir könnten es nie finden. Wir würden nur weitere Projektionen unseres eigenen Denkens finden. Es ist nur dadurch möglich, dass wir von Tag zu Tag sterben, dass wir wirklich in Kontakt mit dem Leben sind. Wenn wir glauben, dass wir eine sinnvolle Verbindung zwischen Leben und Tod finden können, während wir weiter am Glauben an die Kontinuität unseres Daseins festhalten, dann leben wir in einer selbst erschaffenen erdachten Welt. Wenn diese Illusion einer Kontinuität zum Ende kommt, haben wir eine Gelegenheit, die tiefere Wirklichkeit zu erblicken, die ihr zugrunde liegt. Dies ist die wahre und bleibende Natur unseres Bewusstseins. Es ist die ursprüngliche Bewusstheit, die leuchtende Weisheit, aus der alle Phänomene spontan aufsteigen. Diese Weisheit ist unerkennbar im gewöhnlichen Sinn, weil sie jenseits von Konzepten ist. Deshalb ist sie auch jenseits des Zeitbegriffs. Sie wird ungeboren und unsterblich genannt. Wenn wir mit dieser Erfahrung in Verbindung treten können, werden Vergangenheit und Zukunft transzendiert, und wir erwachen völlig natürlich für eine unendliche und strahlende Welt. Wenn wir wirklich wissen, dass mit jedem Ende auch eine Erneuerung geschieht, beginnen wir, uns zu entspannen. Unser Bewusstsein wird offen für den Prozess der Veränderung. Wir fühlen, dass wir die Wirklichkeit tatsächlich berühren können, und haben keine Angst vor dem Tod mehr. Wir können lernen, jetzt total und gut zu leben, mit dem Verständnis, dass der Tod nicht vom Leben getrennt ist. Wir haben die Wahl: der Geschichte unseres Lebens jetzt eine Richtung zu geben, oder zu warten, indem wir unsere Augen vor der Botschaft der Vergänglichkeit verschließen, bis der Tod selbst sie uns öffnet. BARDO verstehen und im Leben anwenden Wir werden in den BARDO- Meditationen erforschen, wie wir die zeitlose Weisheit verstehen und in unserem täglichen Leben anwenden können. Möge die wahre Natur des Bewusstseins, der Buddha in uns, uns alle auf dem Weg eines guten Lebens und Sterbens führen. Dieses Leben zu verlassen ist in vielerlei Hinsicht wie eine Reise, in diesem Fall eine Reise des Bewusstseins. Wir lassen diesen Körper, unsere Liebsten, unseren Besitz und alle unsere Erfahrungen des Lebens zurück, und gehen zum nächsten weiter. Wir sind im Übergang zwischen zwei Punkten. Wir sind jetzt in der Gegenwart, was der einzige Ort ist, an dem wir sein können. Diese Erfahrung des gegenwärtigen Moments ist im tibetischen Buddhismus als BARDO bekannt. Deshalb können wir sagen, dass wir, wenn wir im Übergang zwischen zwei Momenten sind, in einem BARDO- Zustand sind. Der vergangene Moment ist vorbei, der zukünftige Moment hat noch nicht begonnen. Da ist eine Kluft, ein Gefühl des Jetzt- Seins, von reiner Offenheit, vor der Erscheinung des nächsten, ganz gleich ob es unser nächster Gedanke oder unsere nächste Lebenszeit ist. Wenn wir auf diese Übergänge achten, wenn wir über unsere Umgebung in diesen Zeiten aufmerksam sein können, dann werden wir wahrscheinlich viel aufmerksamer sein können während der BARDOs, die über dieses Leben hinausgehen, die unsere Passage durch die BARDOs des Sterbens und des Todes umfassen. Wenn wir mit ihnen völlig gegenwärtig sind, können die Erfahrungen, denen wir während der BARDOs des Todes begegnen, einfach und natürlich werden. Wir können uns erlauben zu entspannen und Hoffung und Angst loslassen. Wir können auch etwas über uns selbst lernen: dass, wer wir letztendlich im wahrsten Sinne wirklich sind, über unsere begrenzte Idee unseres Selbst hinausgeht. An diesem Übergangspunkt haben wir eine Gelegenheit, über diese Wahrnehmung hinauszugehen und die Erscheinung des Todes in eine Erfahrung des Erwachens zu der wahren Natur des Bewusstseins zu verwandeln. Meditation und Bewusstseinspraktiken sind die Vorbereitung auf diese Passage von diesem Leben in das nächste. 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