Meditation in der Sterbebegleitung
Aus der Perspektive des Verstandes ist das menschliche Leben ein lineares, beschränktes Ereignis, das durch den Lauf der Zeit bestimmt wird. Diese begrenzte Perspektive erschafft die Angst vor dem Tod.
Wenn du jedoch durch ausdauernde Meditationspraxis in den Bereich jenseits des Verstandes vorstößt, bekommst du Einblicke in ein Geheimnis, das sofort die Zeit transzendiert. Du siehst, weißt und fühlst unmittelbar, dass der tiefste Teil in dir nicht der individuelle Körper, der Verstand und die Persönlichkeit ist, die geboren sind und die sterben werden, sondern der Urgrund des Seins, der niemals geboren wurde. In dem Maße, wie du erkannt hast, dass du auf der tiefsten Ebene dieser zeit- und raumlose Urgrund bist, wird sich darin zeigen, inwieweit du in der Lage bist, durch dein Wesen diese spontane Freiheit in Zeit und Raum zu manifestieren. Wenn deine Meditation kraftvoll und tief ist, wird die Weise, in der du dich auf das Leben beziehst, ständig eine Freiheit zeigen, die weit über die Ängste und Wünsche deines Egos hinausgeht. Dein eigenes Wesen wird ein Tor für diese unsterbliche Tiefe sein, die Leben und Tod transzendiert. |
BARDO - Meditation in der Sterbebegleitung
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An der Schwelle des Lebens: Mit Sterbenden meditieren
Mein Bruder liegt im Sterben, aber niemand in der Familie will darüber reden - besonders nicht mit ihm. Ich glaube, er muss es erfahren, denn er ist sehr krank, aber keiner hat es ihm gesagt. Was kann ich für ihn tun? Wenn du mit ihm meditierst, kann es ihn sehr entspannen. Zeige ihm, wie es geht, mache die Meditation mit ihm, und mache sie mit so viel Intensität wie möglich. Das wird eine tiefe Wirkung auf ihn haben. Er wird es genießen, im Bett zu liegen und auf den Tod zu warten. Im Westen wird mit dem Tod absolut töricht umgegangen. Zuerst sagt man einem Menschen nicht, dass er bald stirbt. Das ist völlig unsinnig, da er sich dann weiter um sein Leben Sorgen macht, da er meint, er würde leben und alle ihm vormachen, er würde leben. Finde also einen stillen Moment, wenn kein anderer da ist, und kläre ihn darüber auf. Vielleicht ist es schockierend für ihn, aber es ist gut, denn sobald ein Mensch weiß, dass er sterben muss, verliert er unmittelbar das Interesse an der Welt - sofort. Überlege dir einmal: Sobald du weißt, dass du in ein paar Tagen sterben wirst verliert mit einem Mal die ganze Welt - Geld, Bank, Geschäfte, dies und das - ihren Sinn. Nun ist alles nichts weiter als ~ ein Traum aus dem du bereits erwachst. Wenn du jemandem sagst, er werde innerhalb einer bestimmten Zeit sterben beginnt er über die Zukunft nachzudenken. Dann ist Meditation möglich. |
Wenn du ihm sagst, er werde leben und alles sei in Ordnung, wenn die Ärzte, das Krankenhauspersonal und Verwandte ihm dasselbe vormachen und lächeln, betrügst du ihn. Er wird weiter an unnützen, sinnlosen Dingen hängen, die nur Müll sind. Sobald er weiß, dass er stirbt, wird er diesen Müll von ganz alleine fallen lassen. Sofort ändert sich seine ganze Sichtweise. Er ist schon nicht mehr hier. Er beginnt, in die Zukunft zu blicken, denn wenn man eine Reise macht, beginnt man sich vorzubereiten. Wenn du morgen verreisen musst, beginnst du deine Koffer zu packen und machst dir keine Sorgen mehr um das Hotelzimmer, in dem du bist. Eigentlich bist du gar nicht mehr hier, du organisierst deine Sachen und Koffer und denkst an die Reise. Dasselbe geschieht mit jemandem, dem du sagst, dass er sterben wird, dass sein Tod sicher und unvermeidlich ist und dass er keine Zeit mehr zu vergeuden hat. Der entscheidende Moment ist gekommen und er hat genug von seinem Leben vergeudet. Dieser Mensch wird sofort der Welt den Rücken kehren und nach dem dunklen Geheimnis in der Zukunft Ausschau halten. Wenn du ihm dann etwas über Meditation erzählst, wird er bereit dazu sein - und das kann das größte Geschenk für ihn sein. |
An der Schwelle des Lebens
Mit Sterbenden meditieren- Den Atem beobachten Meine Partner liegt im Sterben. Wie kann ich helfen? Er ist meistens voller Angst und aufgewühlt.Bringe ihm eine kleine Meditation bei: den Atem beobachten. Während er im Bett liegt, setze dich an seine Seite und lege deine Hand auf seinen Kopf. Werde ganz ruhig, still und meditativ. Meditation ist ansteckend, wenn du wirklich meditativ bist, kann es übertragen werden. Sitze also bei ihm, werde ganz still, lege die Hand auf seinen Kopf und erkläre ihm dass er einfach seinen Atem beobachten soll - wie der Atem hereinkommt und wieder herausgeht. Sage ihm, wenn er beobachten kann, wie der Atem kommt und wieder geht, wird ihm bewusst werden, dass er nicht dieser Körper ist und dass er auch nicht der Atem ist. Er ist das, was schaut; und dieses Schauende stirbt nie. Es ist unsterblich. In dem Moment, in dem wir unseren inneren Zeugen erkennen, sind wir unsterblich. Der beste und kürzeste Weg zu dieser Erkenntnis ist es, den Atem zu beobachten, denn der Atem ist die Brücke, die den Körper mit der Seele verbindet. Wenn du den Atem beobachtest, bist du bereits am anderen Ufer. Den Atem zu beobachten heißt, du siehst die Brücke; die Brücke, die dich mit dem Körper verbindet. Der Körper ist weit weg. Zwischen dir und dem Körper ist der Atem. Du beobachtest den Atem. Da du ihn beobachtest, bist du getrennt davon. Du kannst eine Sache nur dann beobachten, wenn du getrennt davon bist. |
Wenn du ihm also in seinen letzten Tagen helfen kannst zu beobachten, machst du ihm damit das größte Geschenk, das du ihm geben kannst, bevor er geht. Denn dann kann er in vollkommener Stille, ganz ruhig und gesammelt gehen. Und das ist die wahre Art zu sterben. Es gibt viele Leute, die nicht wissen, wie man lebt; und es gibt nur sehr wenige Leute, die wissen, wie man stirbt. Das ist die größte Kunst, denn das ist der Höhepunkt des Lebens. Wenn du den Tod versäumst, hast du dein ganzes Leben versäumt. Du wirst wieder in einen Mutterschoß zurückgeworfen, denn du wirst lernen und den ganzen Prozess noch einmal durchmachen müssen. Du bist »durchgefallen«, also musst du dieselbe Klasse noch einmal wiederholen, bis du versetzt wirst. Und es gibt nur einen Weg, versetzt zu werden: dass du beim Sterben so sehr in deiner Mitte bist, so wach und so friedlich bist, dass überhaupt keineAngst aufkommt. Das kann man nicht schaffen, indem man einfach tapfer ist - nein. Man kann es nicht schaffen - es ist ausgeschlossen. Außer du weißt, dass es etwas in dir gibt, das nicht stirbt, ist es nicht möglich, es zu schaffen. Und dieses Unsterbliche ist immer da: Es ist dein Bewusstsein, der stille Zeuge. Gehe einfach zu ihm und hilf ihm jeden Tag. Immer wenn er bereit dazu ist - morgens oder abends - sitze ein paar Minuten an seinem Bett. Und während du deine Hand auf seinen Kopf legst, beobachte auch deinen Atem. Du tust das, von dem du eigentlich möchtest, dass er es tut. Nur so kann es übertragen werden. Deine meditative Haltung kann auf sein Wesen überspringen. |
Wenn jemand stirbt, sei still und beobachte aufmerksam. Wo immer auf der Welt einem Toten Respekt gezollt wird, werden die Leute für ein paar Minuten still, ohne zu wissen, warum. Diese Tradition hat sich überall auf der Welt erhalten. Warum Stille? Die Tradition ist bedeutungsvoll. Vielleicht weißt du nicht, warum, vielleicht bist du nicht bewusst und deine Stille ist von innerem Geschnatter erfüllt, oder du tust es nur als Ritual – das liegt an dir. Doch es ist geheimnisvoll. Dies ist nicht der Moment, über den Tod zu reden, dies ist der Moment, mit dem Tod zu sein. Selbst wenn ein Fremder stirbt, stirbst du mit. Wenn jemand stirbt, sei in seiner Nähe, lass dich auf den Tod ein, lass ihn zu und lass es mit dir geschehen. Wenn dein Vater stirbt, fühle mit ihm, fühle dich in ihn ein, wenn es schwer für ihn wird zu atmen. Spüre, was er spürt; werde eins mit ihm. Lass den Tod auch zu dir kommen. Du wirst sehr viel daraus gewinnen. Du wirst deinem Vater dankbar sein – für sein Leben ebenso wie für seinen Tod. Er hat dir viel gegeben, als er am Leben war, und als er starb, hat er dir noch mehr gegeben. |
Wenn deine Frau stirbt, wenn dein Mann stirbt, sei ganz nahe dabei. Fühle den Herzschlag eines sterbenden Freundes, eines Liebhabers, einer Geliebten. Lass diese Erfahrung auch zu deiner Erfahrung werden. Während du den Tod in seinen vielen Aspekten kennen lernst, wirst du in ihm allmählich einen Freund erkennen, ihn nicht mehr als Feind sehen, sondern als große Ruhe und Entspannung. Er ist nicht gegen das Leben. Nur durch den Tod wird Leben möglich. Ohne den Tod wäre kein Leben möglich. Wenn eine Rose am Abend verwelkt und ihre Blütenblätter herabfallen, setze dich daneben und meditiere. Fühle dich wie eine Blume, deren Blütenblätter herabfallen. Oder früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht und die Sterne verschwinden, fühle, wie du selbst mit allen Sternen verschwindest. Und wenn die Sonne aufgegangen ist und die Tautropfen auf dem Gras allmählich verschwinden, fühle, wie du verschwindest – wie ein Tautropfen. Fühle den Tod auf jede nur erdenkliche Art. Werde selbst zur großen Erfahrung des Todes. ~Osho |