Der Sterbeprozess. Unsere Ängste ansprechen
Der Sterbeprozess
Unsere Ängste ansprechen Unsere Abneigung gegen den Tod wird von all den kleinen Wegen bedingt, wie wir unangenehme Situationen in unserem Leben vermeiden. Es ist so, als ob eine ganze Lebenszeit des Weglaufens vor dem Unangenehmen an die Oberfläche gedrängt wird, wenn wir unserer Sterblichkeit begegnen. Der hauptsächliche Grund, aus dem wir vor Situationen weglaufen, ist der, dass wir Angst davor haben, dem Unbekannten zu begegnen. Wir sind im Ungewissen, wie die Situation sich entwickeln wird, und deshalb fliehen wir in eine bekannte und sichere Richtung, aber wenn wir sterben, können wir den Verlauf nicht beeinflussen, um den Prozess sicherer zu machen. Dieses Mal gibt es kein Entfliehen vor dem Unbekannten. Der Tod verursacht eine intensive Konfrontation mit unserer Angst vor dem Unbekannten. Und wenn wir durch den Sterbeprozess gehen, projizieren wir Erinnerungen an andere angstvolle Situationen unseres Lebens auf unseren Tod. Der Tod wird das Ziel für eine Lebenszeit voller angesammelter Ängste. Wenn wir sterben, sind wir seelisch und emotional nicht so geschützt und kontrolliert, wie wir es normalerweise sind.
Vielleicht wird die Energie, die für gewöhnlich unsere Abwehrmechanismen aufrechterhält, dazu gebraucht, uns mit unserem Tod auseinanderzusetzen. Es ist meine Beobachtung, dass Erinnerungen aus der Vergangenheit nicht so getrennt und unterscheidbar vom gegenwärtigen Moment sind, wie es normalerweise der Fall ist. Vergangenheit und Gegenwart scheinen in einem nahtlosen zeitlichen Bezug, in einem einzigen Strom des Bewusstseins, zusammen zu fließen. Wir müssen uns ohne unsere gewöhnlichen Abwehrmechanismen mit einer Lebenszeit von unbeachteten Themen auseinandersetzen. Manchmal sind wir so mit unseren persönlichen Rollen und Selbstbildern beschäftigt, dass wir uns dagegen wehren, dass sich dieses Bild ändern könnte. Wir fühlen uns als eine Person herabgesetzt, wenn wir wichtige Bereiche unserer Identität aufgeben müssen. Ein älterer Mann, den ich manchmal besuchte, war nicht fähig, sein Sterben anzunehmen, weil er sich weigerte, sich als jemand mit Prostatakrebs zu akzeptieren. Er konnte sich nicht erlauben, sich zu verändern. Er war mehr daran interessiert, seine Rolle aufrechtzuerhalten, als seiner Fähigkeit zur Anpassung an die Situation und seiner Menschlichkeit zu vertrauen. Während wir sterben, fallen ständig Teile unseres Selbstbildes von uns ab. Unsere Arbeit und unsere sexuelle Identität, unsere Rolle als Eltern, Partner, Liebhaber, und Freund werden alle in Frage gestellt. Der Tod zerlegt und bis auf die essentiellen Dinge des Menschseins, und doch sind vollständig wir in unserer Menschlichkeit. Wir sind daran gewöhnt, eine Ehefrau zu sein, einen Beruf zu haben, oder eine Mutter zu sein. Jede neue Rolle grenzt uns auf das Verhalten ein, das für diese Rolle angebracht ist. Wenn unsere Identifikation mit einer Rolle stark ist, haben wir wenig Raum, uns mit dem zu verbinden, was jenseits davon liegt. Während die Zeit vergeht und die Anzahl unserer Rollen größer wird, wird unser Bewegungsspielraum enger, und unsere Freiheit verringert sich. Unser innerer Lebensraum schrumpft zusammen, während wir die Zäune nähern heranziehen, die uns umgeben- wir werden von unseren Selbstdefinitionen eingeengt. Völlig menschlich zu sein bedeutet auch, den Einfluss von Angst zu verstehen. Furcht sammelt sich in den Lebensbereichen an, in denen wir unbewusst sind und wenig Klarheit besitzen. Manchmal weist es uns darauf hin, wo wir Heilung finden müssen. Wenn wir zum Beispiel Einsamkeit oder Bindung fürchten, führt uns unsere Angst dahin, uns in diesen Bereichen zu entwickeln, bewusst und ehrlich zu werden. Nehmen wir einmal an, dass wir eine Geschichte von fehlender Intimität in Beziehungen haben. Wenn wir uns einlassen, und anfangen, die alte Angst vor Verbindlichkeit zu fühlen, die uns von der Beziehung wegzieht, könnten wir die Angst als ein Signal sehen, anstatt unseren alten Mustern zu folgen und vor der Intimität zu flüchten. Der Auslöser von Angst lässt uns wachsam sein, weil wir uns einer Schwelle für unser Wachstum nähern. Wenn wir die Angst auf diese Weise nutzen, wird sie ein Werkzeug für Wachstum, anstatt eine Begrenzung. Die gleiche Angst, die uns im Leben beeinflusst, kann uns in den Tod folgen. Es gibt keine Gewissheit, dass wir plötzlich unsere Ängste verstehen werden, oder ganz aufhören werden, Angst zu haben, nur weil unser Herz einfach aufhört zu schlagen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass wir nach dem Tod den gleichen Ängsten und Schattenaspekten begegnen werden wie zu Lebzeiten. Wir sehen den Tod manchmal als eine Erholung von den Lasten des Lebens, aber es könnte nur eine Veränderung der äußeren Form sein, während der innere Prozess weitergeht. Es könnte sein, dass der Tod unsere alten Selbstbilder aus der neuen Perspektive herausfordert, ein Bewusstsein zu haben, aber keinen Körper. Was ich damit sagen möchte, ist, wie wichtig es ist, dass wir jetzt an unseren Ängsten arbeiten, solange wir am Leben sind, und es dem Tod überlassen, sich um sich selbst zu kümmern. In der Erfahrung vieler Begleiter und in der Erkenntnis der tibetischen Lehre über den Übergang des Todes zwischen den Leben scheint es so zu sein, dass es eine nahtlose Weiterführung zwischen Leben und Tod gibt. Wenn wir die ständigen Herausforderungen des Lebens nutzen, die es jedem von uns bietet, können wir eine innere Einstellung und Bewusstsein für weiteres Wachstum nach dem Tod herstellen. Der eine gemeinsame Faktor, der sowohl im Leben und im Sterben verfügbar ist, ist unser Potenzial, zu wachsen, indem wir unseren Ängsten begegnen. Das wirkliche Mysterium im Leben und Sterben ist das Rätsel des menschlichen Bewusstseins. Der Tod enthüllt uns die Weise, wie wir unsere Ich- Persönlichkeit durch eine ganzes Leben mit Angst und Anhaften aufbauen. Alle unsere Selbstkonzepte, Selbstbilder, und Identifikationen sind vorübergehende Muster des Festhaltens, die uns davon abhalten, der größeren Herausforderung zu begegnen, nämlich ein völlig natürliches menschliches Wesen zu sein. Wenn wir dies verstehen, können wir damit beginnen, unsere Selbstablehnung und Ignoranz zu erkennen, uns selbst und anderen zu verzeihen, und wirklich zu lieben. |