Empathie und Mitgefühl in der Sterbebegleitung
Transformation und Mitgefühl
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Mitgefühl erzeugt auch die so genannte “Neuroplastizität” oder “neuronale Plastizität“: die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, sich in Abhängigkeit von der Verwendung in ihren Eigenschaften zu verändern. Wir haben umso mehr Zugang zu dieser essentiellen Qualität des Mitgefühls, je mehr wir sie empfinden, bewusst zulassen und daraus handeln. Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, in neuen Strukturen zu denken und die altgewohnten Bahnen zu verlassen. |
Mitgefühl in der Arbeit mit Menschen. Geben und empfangen
Atem und unsere Verbindung zu Allem : Mitgefühl
Atem und unsere Verbindung zu Allem: Mitgefühl.
Die Entwicklung und Übung von Mitgefühl ist wesentlich für Heilung. Niemand kann ganz und heil sein, solange er oder sie alles andere als fremd betrachtet, solange eine Mauer um sich und sein Herz errichtet ist. Reflexartig wollen die meisten Menschen alles Unangenehme loswerden oder von sich fernhalten, alles Angenehme dagegen in den eigenen Herrschaftsbereich bringen. Das verstärkt jedoch die Abspaltung, die Trennung, und führt zu Leiden – gegen alle natürlich Absicht. Atishas Meditation kann hier sehr heilbringend wirken, und ich empfehle sie immer wieder. Sie arbeitet mit dem Atem. Die Luft, die Sie gerade einatmen, ist die Luft, die Ihre Zimmerpflanze oder der Mensch neben ihnen eben ausgeatmet hat. Wir tauschen unseren Atem mit allen lebenden Wesen aus. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir uns nicht vom Rest der Welt abgrenzen. Wo fängt Ihr Atem an und wo hört der Atem Ihres Nachbarn auf? Es ist ein Atem, ein Leben. Hier wird die Vernetztheit und gegenseitige Bedingtheit aller Phänomene und aller Wesen so deutlich, so klar, so praktisch. Im Beobachten des Atems stellt man fest: Es gibt keine Trennung zwischen Außen und Innen, sondern ein Zusammenspiel, eine Harmonie. Von hier aus ist es ein kleiner Schritt zu Atisha, einem tibetischen Meister des 11.Jhdts., der schreibt: „Übe dich im Austauschen (=Tonglen), im Nehmen und Geben abwechselnd. Tu das indem du auf dem Atem reitest. Beginne die Übung mit dir selbst.“ Die scheinbar natürliche Verhaltensweise, alles Angenehme zu sich heranzuziehen und alles Unangenehme von sich abzuhalten, hält in Wahrheit die Idee der Trennung meiner selbst vom Rest der Welt aufrecht, ist Ausdruck der Territorialbildung des kleinen Ich, des Ego, der Verblendung, und sie verursacht Gier, Hass und Leiden. Atishas Aufforderung, mit dem Ausatmen Angenehmes loszulassen und zu verströmen, ohne dabei irgendetwas zurückzuhalten, und mit dem Einatmen Unangenehmes ins Herz hereinzunehmen und ohne Rückhalt zu fühlen, bewirkt eine Kehrtwendung. In diesem Mitgefühl lösen sich alle Grenzen auf, und Weisheit scheint auf. Diese Kehrtwendung beschränkt sich nicht auf die Zeit, die man auf seinem Meditationskissen verbringt, sondern ist sehr praktisch und muss sich im Leben zeigen und erweisen. So manche gewohnte Reaktionsweise wird dann nicht mehr möglich sein. Ich erkläre dies am Beispiel des Gefühls von Hilflosigkeit, das sicher jeder kennt: Immer wieder empfinde ich zum Beispiel Hilflosigkeit, wenn mir Leiden begegnet und ich nichts tun kann, um es zu lindern. Sei es der gewaltsame Tod von vielen Menschen auf dieser Erde, sei es emotionales oder persönliches Leiden in meinem Umfeld. Der erste Schritt für mich ist einerseits das Anerkennen meiner eigenen Hilflosigkeit als Faktum, und dass ich mich davor nicht drücke und gleichzeitig dieses Gefühl tief in mein Herz sinken lasse und es annehme. Als erstes muss man aufhören, vor diesem natürlich unangenehmen aber einfach höchst menschlichen Gefühl davon zu laufen. Solange wir leben, werden wir uns immer wieder hilflos fühlen. Als zweiten Schritt nutze ich dieses Gefühl der Hilflosigkeit, um mich in Mitgefühl zu üben für alle Menschen und Wesen, die sich auch hilflos fühlen oder sich in einer Lage der Hilflosigkeit befinden. Empfinden wir selbst gerade ein Gefühl dieser Art in uns, dann ist das der ideale Zeitpunkt um Mitgefühl zu üben, Tonglen, oder „Atishas Herz- Meditation“, wie Osho es nennt, zu praktizieren. Ich atme all die Hilflosigkeit, die in mir und in anderen Wesen ist, ein, und atme alles, was in mir an Mut, Strahlen, Zuversicht, Mitgefühl ist, aus. Auf diese Weise wird Hilflosigkeit (und jedes andere Gefühl) in Segen verwandelt. Das ist tiefste Alchemie. Ist Mitgefühl für das Wohlbefinden aller Wesen Teil eines authentischen spirituellen Impulses?
F: Ist Mitgefühl für das Wohlbefinden aller Wesen Teil eines authentischen spirituellen Impulses, oder ist es die Absicht dahinter, den Weg der Spiritualität zu gehen. Was ich verstanden habe, ist die Leidenschaft für, oder das Verlangen nach Wahrheit, der authentische spirituelle Impuls. Mitgefühl für das Wohl der Welt und für Frieden wären einfach nur Nebenprodukte wirklicher Erkenntnis. A: Es ist unmöglich, Wahrheit von dem Wohlergehen aller zu trennen, da die Enthüllung der Wahrheit zeigt, dass wir die Welt sind, die Welt ist wir. Das ganze Universum ist in dir enthalten. Das ist nicht nur transzendente Wahrheit, es wird auch als grenzenlose Liebe und Mitgefühl erfahren. Worauf ich hier hinweise, sind unsere spirituellen Motivationen. Liebe für alle ist ein Aspekt unserer wahren Natur. Wenn wir uns dafür nicht öffnen, beliben wir grundsätzlich egozentrisch. Weisheit ohne Liebe kann herzlos und harsch sein. Wahrheit und Liebe sind einfach zwei Seiten der selben Münze. Sie können nicht voneinander getrennt sein. Manche Menschen auf dem Weg haben ein teilweises Erwachen erlangt. Sie erkennen etwas von einer tiefen Wahrheit, aber ihr Herz ist immer noch verschlossen. Sie sind halb erwacht, und deshalb hauptsächlich im (egoischen) Selbst zentriert. Das gleiche Phänomen kann geschehen, wenn jemand für grenzenlose Liebe erwacht, aber nicht in tiefer Weisheit. So oder so ist es, als ob du auf einem Bein herumhopst. Deshalb denke ich, es ist sowohl weise und natürlich, alle Wesen in deine spirituellen Motivationen miteinzubeziehen, genau wie unsere mehr persönlichen Motivationen. Natürlich können wir mehr spirituell erscheinende Egos um die Identität herum aufbauen, selbstlos und ein Diener des Guten zu sein. Solche Identitäten sind genau so unwirklich wie alle anderen. Und trotzdem ist eine altruistische (uneigennützige) Einstellung (ohne die begleitende Ego-Identität) der Erkenntnis dienlich, und eine Wohltat für alle. Berichte aus der Begleitung Sterbender
Es ist jedesmal ein besonderes Geschenk, unmittelbar beim Sterben eines Menschen dabei zu sein. Eben komme ich von der Klinik nach Hause - ich hatte heute wieder einmal die Möglichkeit, einen Menschen beim Sterben begleiten zu dürfen. Er war die ganze Zeit sehr unruhig, seine Frau hat bei jeder Regung Panik bekommen und stand unter Strom, hat es zwar kaum im Zimmer ausgehalten, aber trotzdem jede Hilfe abgelehnt. Ich habe mich dann einfach 40 Minuten still ins Zimmer gesetzt und meditiert, was sie gut nehmen konnte und als Unterstützung empfunden hat, da sie dadurch selbst ruhiger wurde. Gegen Nachmittag ging sie eine Weile aus dem Zimmer. Ich bin rein und habe mit ihrem Mann gesprochen, ihm dann sanft die Hand aufs Herzchakra gelegt und dabei meditiert, d.h. ich habe einfach Energie gespürt und Bilder in mir hochsteigen lassen: Bilder von Fließen, von eingebunden sein, von eins sein. Er wurde nach und nach ruhiger und das Stöhnen, das er bei jedem Ausatmen von sich gab, verstummte. Dann kam seine Frau wieder ins Zimmer, setzte sich dazu und er starb "unter meiner Hand". (Er gab noch einen Schrei oder Ruf von sich; mir kam das Bild eines Marathonläufers, der nach langer Anstrengung endlich ins Ziel einläuft). Es folgte eine Phase von sanft ausklingenden Atemzügen, bei welchen seine Frau ihm die Hand hielt (ich habe mich etwas in den Hintergrund zurückgezogen). Im Zimmer nebenan lag ein Moslem, bei welchem eine ganze Mannschaft zu Besuch war und ein Gebet sang (wunderschön mehrstimmig, ich wusste gar nicht, dass es das im Islam so gibt). Es war eine wunderbare Energie und ich schwang einfach mit. Weder bei dem Sterbenden, noch bei seiner Frau habe ich viel gemacht - ich war, auf eine achtsame Weise, einfach da. Es ist jedesmal ein besonderes Geschenk, unmittelbar beim Sterben eines Menschen dabei zu sein. Sehr oft wende ich Atishas Meditation für Mitgefühl an, sie ist wirklich das Herzstück meiner Arbeit (im wahrsten Sinne des Wortes) und ich bin erstaunt, wie offen todkranke Menschen für diese Arbeit sind - auch wenn sie vorher absolut rationale und nicht spirituelle Menschen waren! Oft schlage ich diese Arbeit vor, wenn jemand sich total verlassen fühlt - auch von Gott. Es gibt (jedenfalls für mich) keine Worte, die dann Resonanz finden oder trösten können. Manchmal lasse ich Musik dazu laufen, manchmal leite ich die Meditation einfach spontan an, wobei ich die biographischen Bruchstücke, die mir aus den vorherigen Gesprächen mit den Patienten bekannt sind, mit einflechte. Nach der Meditation herrscht ein tiefes und stilles Einverständnis, der Kontakt, der hierdurch stattfindet, trägt und vermittelt ein Gefühl des Friedens (wobei das im Grunde kein "Gefühl" ist, sondern eine existentielle Erfahrung). Auch für mich selbst ist Atishas Herzmeditation sehr wichtig geworden, weil dadurch all das Leid, mit dem ich in der Klinik konfrontiert bin, einen Platz bekommt. Jan.; D. nichts tun als antwort auf schmerz: Mitgefühl
Manchmal ist die geschickteste und mitfühlendste Antwort auf das Entstehen von sich widerholenden, schmerzhaften Gedanken und Gefühlen die, nichts zu tun. Aber diese Aktivität ist nicht die Version des Verstandes von "nichts tun". Es ist tief verkörpert, verbunden, lebendig, kreativ. Es ist das gleiche "Nichts", das die Geburt und den Tod eines Sterns auslöst. Schwierige Denkmuster und Emotionen sind kein Beweis dafür, dass etwas mit uns nicht stimmt, dass wir versagt haben, dass wir neurotisch oder schlimmer sind. Sondern dass wir leben, dass wir ein Herz haben, das schlägt, ein Nervensystem, das sensibel ist, und einen Körper, der offen und empfänglich ist. Unser Schmerz ist keine Krankheit. Der Fluss der Emotionen ist keine Krankheit. Die Entfaltung unserer Verletzlichkeit ist keine Krankheit. Das Aufsteigen der Trauer ist keine Krankheit. Sie sind ein Weg. Sie sind verborgene Träger der Weisheit, aber wir müssen unsere Wahrnehmung reinigen, um diese Ebene der Offenbarung zu erhalten. Aus dieser Perspektive brauchen wir nicht dringende Maßnahmen zu ergreifen, um unsere verkörperte, emotionale Erfahrung zu verändern, zu verschieben, zu transformieren oder gar zu "heilen". Aber halte sie, kümmere dich um sie und umarme sie mit Wärme und Licht eines liebevollen Bewusstseins. Es zu wagen zu sehen, dass es berechtigt und umsetzbar ist und die wesentliche Kommunikation für den weiteren Weg enthält. Die Seele manifestiert sich uns in vielerlei Hinsicht, einschließlich der Stimmen, die kommen, der Emotionen, die sie tragen, der verkörperten Empfindungen, die in der Präsenz der Psyche und ihrer Ausdrucksformen aufsteigen. Es sind weder Fehler noch Mängel zu beheben, sondern es gilt, Informationsquellen der Weisheit zu erschließen. Wenn wir nur für einen Moment aus der Anforderung herausgehen, dass wir unsere Erfahrung "heilen" (wir können später zur Heilung zurückkehren), öffnen wir ein Portal, um diesen Weisheitsfluss zu empfangen. Diese sind keine Feinde, die uns niederstrecken, oder Hindernisse auf unserem Weg, sondern Abgesandte des Weges selbst. Sie steigen auf, um sich zu offenbaren, als Einladungen zu tieferen Beziehungen mit dem großen Unbekannten in all seinen Formen. Dieses "Nichts tun" ist nicht passiv und resigniert, sondern feurig und lebendig, verwurzelt in Wissbegierde, Wärme und dem Verlangen, die archaischen Zyklen der Selbstaufgabe in all ihren Formen zu beenden. Es ist die Aktivität der Liebe, wild und flexibel, kreativ und frei. Mitgefühl umfasst fünf psychologische Aspekte: Altruismus, Empathie, Integrität, Respekt und Engagement.
Mitgefühl umfasst fünf psychologische Aspekte. Sie sind Altruismus, Empathie, Integrität, Respekt und Engagement. Altruismus bedeutet, "für andere zu leben". Eine selbstlose, humanistische und ethische Art, großzügig zur Welt beizutragen. Im negativen Fall kann Altruismus, wenn er übertrieben ist und wir unsere eigenen Bedürfnisse ignorieren, zu Ressentiments und Burn-Out führen. Empathie ist, wenn wir uns in einen anderen hineinfühlen, uns mit ihrer emotionalen Erfahrung vorübergehend identifizieren und sie teilen. Empathie erzeugt Probleme, wenn wir uns übermäßig mit dem Schmerz eines anderen identifizieren oder uns selbst stellvertretend traumatisieren, denn dann wird sie zu empathischer Not. Integrität ist eine moralische Stärke, die im Mitgefühl wurzelt. Es ist eine bewusste Verpflichtung, moralische und ethische Prinzipien einzuhalten. Integrität scheitert, wenn wir in moralisches Leiden und Kummer fallen, was eine Folge von Empörung gegenüber Menschen sein kann, die ethische soziale Normen verletzt haben. Respekt hat drei Aspekte: Respekt vor anderen, Respekt vor Prinzipien und Selbstachtung. Es ist eine Haltung oder essenzielle Qualität, Rücksichtnahme und Achtung vor allem Leben. Die negative Seite des Respekts ist Respektlosigkeit, die ein Mangel an Bewusstsein und Gedankenlosigkeit ist. Bei Engagement geht es darum, sich zu engagieren; mit der Welt in Kontakt zu treten. Die Kehrseite des Engagements ist natürlich Burnout, Zynismus, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Respekt für andere, für Prinzipien und für uns selbst Es gibt drei Formen von Respekt: Respekt für andere, Respekt für Prinzipien und Werte, sowie Selbstrespekt. Andere zu respektieren bedeutet, ihren Wert anzuerkennen. Wir können auch unsere Gegner respektieren, und hoffentlich respektieren wir diejenigen, die uns nahestehen. Eventuell stimmen wir absolut nicht mit dem überein, was sie sagen und tun, und vielleicht begreifen wir nicht wirklich, wer sie sind- aber auf einer bestimmten Ebene schätzen wir sie als Menschen und erkennen, dass wir alle verletzlich geboren werden und wahrscheinlich auch verletzlich sterben werden. Selbst Menschen, die Schaden verursachen, können wir respektieren, wenn wir Verständnis dafür haben, wie es tief in ihnen aussieht. Vor Jahren war ich nicht begeistert von einem Politiker unseres Landes, und quälte mich damit, dass ich ihm eine derartige Abneigung und Wut entgegenbrachte, unter denen in mir natürlich Hilflosigkeit und Angst verborgen waren. Eines Tages beschloss ich, mich in der Meditation auf ihn zu konzentrieren. Erst stellte ich mir ihn als Baby vor, dann als kleinen Jungen. Ich dachte daran, dass er eines Tages sterben und der Tod womöglich nicht gerade leicht für ihn sein würde, nachdem er anderen so viel Leid verursacht hatte. Dabei wurde mir klar, dass ich auf keinen Fall persönlich nahe sein wollte, er jedoch trotzdem ein menschliches Wesen war. Ihn herabzusetzen nützte keinem von uns. Außerdem erkannte ich, dass ich bereit war, an seinem Sterbebett zu sitzen, wenn man mich darum bitten würde. Genauso klar war mir jedoch, dass ich Stellung gegen die von ihm verkörperten Prinzipien beziehen musste. Ich konnte den Menschen also getrennt von seinen Taten sehen, und ich konnte ihm mein Herz öffnen, während ich gleichzeitig gegen das war, was er anderen zufügte. Seither sehe ich in Menschen, die andere missbrauchen, deutlicher die Wahrheit des Leidens. Diese Perspektive hilft mir dabei, mich nicht in Abneigung zu verlieren, wenn ich auf jemanden treffe, der eine Gefahr für andere darstellt. Ich bin zwar nicht gleichgültig gegenüber dem Schaden, den er anrichtet, aber wenn ich ihn mir als Baby oder als Sterbenden vorstelle, rückt das sein Leben in ein anderes Licht. Wenn seine Feindseligkeiten gegen mich gerichtet sind, hilft mir diese Praxis, seine Angriffe weniger persönlich zu nehmen- wahrscheinlich betrifft seine Respektlosigkeit hauptsächlich ihn selbst, nicht mich. Genau wie damals, vor vielen Jahren, als ich in Südamerika mit Kriminellen zu tun hatte, die mich bedrohten, sehe ich zugleich seine Verwirrung und das, was er unter den Schichten seines Leidens wirklich ist. Und ich mache ihn ebenso für seine Taten verantwortlich wie für dein eigenes Erwachen. Es gibt die Wahrheit der gegenseitigen Verbundenheit, die durch die Metta-Praxis ihren Ausdruck findet, liebevolle Güte. Dabei senden wir einem Feind liebevolle Güte. Wenn wir jemandem mit Respektlosigkeit, Misstrauen oder Hass gegenüberstehen, können wir so unseren Respekt wiedergewinnen und erkennen, dass wir auf die eine oder andere Weise alle miteinander verbunden sind; zumindest teilen wir das Leiden des Lebens. Dann können wir in unser Herz hineinspüren, wie es viele bewusste Menschen immer wieder getan haben, und unseren Gegnern wünschen, frei von Leid zu sein. Auch wenn wir das, was sie tun, nicht billigen, könnten wir jedoch ihrem Menschsein und damit ihrem Potenzial zur Transformation Respekt entgegenbringen. Das ermöglicht es uns, unser eigenes Gefühl der Hilflosigkeit, unser Leiden und unsere Wut zu heilen, damit unser Respekt erneut gefestigt wird. DEr UNterschied zwischen Empathie und mitgefühl. Warum Mitgefühl absolut notwendig ist, wenn wir mit Menschen arbeiten, die im Schmerz oder leiden sind.
Empathie ist nicht Mitgefühl Matthieu Ricard, ein Mönch in der tibetisch-buddhistischen Tradition, der jahrzehntelang im Himalaya Meditation praktiziert hat, hat gemeinsam mit Wissenschaftlern Experimente durchgeführt, bei denen die Wirkung der Meditationspraxis auf Geist und Körper erforscht wurde. Vor allem ein Experiment demonstriert eindrucksvoll, was emphatischer Stress ist, und welcher Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl besteht. Am Leipziger Max-Plank-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften legte sich Matthieu in einen Magnetresonanztomografen und bekam die Aufgabe, Mitgefühl zu erzeugen, während er an das Leiden von anderen dachte. Am Vorabend hatte er eine BBC-Dokumentation über ganz junge rumänische Waisenkinder gesehen und war zutiefst betroffen von deren unerträgliche Not. Sie bekamen zwar zu essen und wurden gewaschen, entwickelten sich jedoch nicht gut, weil sie wenig oder gar keine menschliche Zuwendung erhielten. Wie Mathieu erzählte, hatte der Mangel an Zuwendung bei den Kindern „schwere Symptome von Apathie und Anfälligkeit hervorgerufen. Viele wiegten sich stundenlang hin und her, und ihre Gesundheit war in einem derart schlechten Zustand, dass es im Waisenhaus regelmäßig zu Todesfällen kam. Selbst wenn sie nur gewaschen wurden, zuckten viele der Kinder vor Schmerz zusammen, und schon ein leichter Schlag konnte zu einem Arm- oder Beinbruch führen“. Während Matthieu im Tomographen lag, versetzte er sich in das Leiden dieser Kinder hinein, indem er sich ein lebendiges Bild von ihnen vor Augen rief und sich ich ihre fürchterliche Lage einfühlte, als wäre er einer von ihnen. Statt zu regulieren, wie er ihr Leiden erlebte, erlaubte er sich, ihren Schmerz und ihr Leiden so tief wie möglich zu empfinden. Es dauerte nicht lange, bis er sich überfordert und ausgelaugt fühlte. (Emphatischer Stress) Nach einer Stunde dieser intensiven Praxis wurde Matthieu vor die Wahl gestellt, entweder weiterhin Empathie zu erzeugen, oder zur Mitgefühlsmeditation überzugehen. „Ohne das kleinste Zögern“, berichtet er, „stimmte ich zu, die MRI-Aufnahme mit Mitgefühlsmeditation fortzusetzen, weil ich durch die emphatische Resonanz total erschöpft war.“ Mit der neuen Meditationstechnik konzentrierte Matthieu sich wieder auf das Dasein der Waisenkinder. In dieser Phase erzeugte er bewusst Gefühle von Liebe, Güte, Fürsorge und Altruismus, während er sich ihr extremes menschliches Leiden von Augen rief. Am Ende des Experiments beschrien Matthieu seinen inneren Zustand während der Mitgefühlsmeditation als warm und positiv, gepaart mit dem starken Wunsch, etwas für diese Kinder zu tun. Das war ein deutlicher Gegensatz zu seiner vorherigen Erfahrung von Empathie, (oder vielmehr von emphatischem Stress), die ihn völlig erschöpft und entkräftet hatte. Auch an seinem Gehirn war der Unterschied deutlich erkennbar. Die MRI-Aufnahmen zeigten, dass die emphatische Erfahrung in neuronalen Netzwerken stattgefunden hatte, die mit Schmerz assoziiert waren. Die entsprechenden Areale sind für die emotionale (aber nicht für die sensorische) Komponente der Schmerzerfahrung zuständig, und zwar sowohl bei eigenen Schmerzen wie auch solchen, die wir bei anderen beobachten. Bei der Mitgefühlsmeditation hingegen waren Netzwerke aktiv, die mit positiven Emotionen, mütterlicher Liebe und Zugehörigkeitsgefühl verbunden sind. Das Forscherteam war verblüfft, dass zwischen Empathie und Mitgefühl offenbar so deutliche Unterschiede herrschten. Später berichtete Matthieu, während der Mitgefühlsmeditation sei er von Gefühlen der Liebe und Zärtlichkeit erfüllt gewesen, und anschließend habe er sich frisch und beseelt gefühlt: „Als ich zur Mitgefühlsmeditation überging, hat meine mentale Landschaft sich völlig verändert. Das Bild der leidenden Kinder war zwar genauso lebhaft wie zuvor, rief jedoch keinen Kummer mehr hervor. Stattdessen empfand ich eine natürliche, grenzenlose Liebe für die Kinder, und den Mut, auf sie zuzugehen und sie zu trösten. Außerdem war der Abstand zwischen mir und ihnen völlig verschwunden.“ Was Matthieu empfunden hat, ähnelt meinen eigenen Erfahrungen in der Begleitung von Menschen in der Traumatherapie, als auch mit Menschen, die im Sterbeprozess durch intensive körperliche und seelische Schmerzen gehen mussten. Ich wusste damals noch nichts von den neurologischen Unterschieden zwischen Empathie und Mitgefühl- aber mir war klar, dass ich von meiner Identifikation mit dem Qualen der Menschen in einen Zustand überwechseln musste, in dem ich verankert und voll Dankbarkeit für jene war, die diesen Menschen ermöglichen konnten, ihren Schmerz erheblich zu lindern. Wenn mir das gelang, durch viele Stunden der Mitgefühlsmeditation und auch innerer Stille, fühlte ich mich neu belebt von dem Mitgefühl, das in mir entstand. Die Wissenschaftler haben also schlüssige Beweise für einen neurobiologischen Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl gefunden. Matthieu hat auch bestätigt, das die subjektive Erfahrung dieser Zustande sich deutlich unterscheidet.
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