Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sein Leben durch den bewussten Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu beendenJeder Mensch hat die Möglichkeit, sein Leben durch den bewussten Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu beenden. Verschiedene persönliche Berichte Bücher und Dokumantarfilme zeigen, warum dies nicht mit einem grausamen Tod verbunden ist, und gelangt zur Konsequenz, dass der Verzicht auf künstliche Versorgungsmassnahmen eine bewusste selbstbestimmte Art des freiwiligen Todes sein kann, und auch für Menschen mit Demenz eine gute Form der Lebensbeendigung sein kann. Seit Urzeiten dürfte es immer wieder vorgekommen sein, dass alte, leidende oder einfach lebenssatte Menschen intuitiv entschieden, durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen. In der indischen Kultur wurde diese Form des Sterbens im religiösen Kontext thematisiert und in deutschen Übersetzungen alt-indischer Texte als «Sterbefasten» bezeichnet. Da es sich um eine dem Menschen von Natur aus gegebene Möglichkeit des selbst gewählten Sterbens handelt, kann man es als natürliche Alternative zum Suizid oder, verkürzt, als «natürlichen Suizid» auffassen. Vom Sterbefasten lernen Wer in einer Patientenverfügung festlegt, dass bei ihm keinerlei künstliche Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit vorzunehmen ist, der muss sich zumindest sicher sein, dass dies für ihn später nicht mit grossem Leiden, vor allem durch Durst, verbunden sein wird. Doch kann er dies? Diese Frage bedrängt oft auch diejenigen, die bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten über eine künstliche Versorgung, etwa mittels einer PEG-Sonde, zu entscheiden haben. Verzichtet man auf diese Massnahme, so möchte man darauf vertrauen können, dass dadurch dem Patienten nichts Schreckliches zugemutet wird, zumal sich dies dann möglicherweise nicht eindeutig erkennen lässt. Werden nicht immer wieder die Verantwortlichen von Ängsten vor einem grausamen Verhungern und Verdursten überwältigt. Und ist die im Titel enthaltene Behauptung «kein grausamer Tod» überhaupt zu verantworten? Dass es sich hierbei in vielen Fällen um einen «sanften Tod» handelt, gründet auf den zahlreichen Berichten von Menschen, die durch das Sterbefasten bewusst aus dem Leben geschieden sind. Hieraus kann man lernen, dass vor allem drei Voraussetzungen unbedingt erfüllt sein müssen, damit das Versterben durch Flüssigkeitsverzicht tatsächlich sanft und friedlich verläuft: eine kompetente pflegerische Unterstützung, vor allem eine gute Mundpflege; ein verständnisvolles Begleiten und Abschiednehmen seitens der Angehörigen und anderer; die Option auf palliativ-medizinische Unterstützung durch einen verständnisvollen Arzt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so erlebt der Sterbende die ersten Tage oft sehr klar und intensiv. Er und seine Vertrauten können den Abschied positiv gestalten; zudem kann man in dieser Phase den Entschluss, zu sterben, noch rückgängig machen. Anschliessend kann das Erdulden des Flüssigkeitsverzichts manchmal beschwerlich werden, sodass ärztliche Erleichterung hilfreich ist. Gegen Ende kann die Kommunikationsfähigkeit stark abnehmen. Der Tod kommt – nach etwa einer bis drei Wochen – friedlich im Schlaf. Unterlassen künstlicher Flüssigkeitsversorgung bei Dementen Man ist sich heute weitgehend darüber einig, dass bei Sterbenden nur noch etwas gegen ein eventuelles Durstgefühl unternommen werden muss (wozu hinlänglich bekannte Mittel zur Verfügung stehen), eine lebensverlängernde Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit aber nicht mehr indiziert ist. Bei alten Menschen – auch solchen mit Demenz – nimmt bekanntlich die Bereitschaft, zu essen und zu trinken, im Laufe der Zeit ab. Irgendwann kann die Situation eintreten, dass die orale Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit nicht mehr ausreichend möglich ist und entschieden werden muss, ob zu künstlicher Versorgung übergegangen werden soll. Sind die Betroffenen wegen eines extremen körperlichen Leidens oder beispielsweise nach einem Schlaganfall nicht mehr einwilligungsfähig, so ist für die Verantwortlichen die Entscheidungsfindung zwar manchmal schwierig; sie erfolgt heute aber in weitgehend standardisierten klinischen Fallbewertungen anhand etablierter ethischer Leitlinien. Sind die Betroffenen jedoch aufgrund einer Demenz nicht mehr einsichtsfähig, besteht – wie wir sehen werden – noch immer grosse Unsicherheit. Verschiedene Forscher kommen zu der Folgerung, dass eine PEG-Sonde speziell für schwer demente Patienten mehr Leid als Annehmlichkeit bedeute und zu sehr belastenden Komplikationen führen könne. In den Niederlanden befasste sich eine Forschergruppe mit dem Unterlassen künstlicher Ernährung und Flüssigkeitsversorgung bei solchen PatientInnen. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung gegen eine künstliche Ernährung getroffen wurde, litten zwei Drittel der Patienten unter einer akuten Erkrankung, zum Beispiel einem Schlaganfall, einer Infektion der unteren Atemwege oder einer Harnwegsinfektion. 59 Prozent von ihnen starben innerhalb einer Woche, 28 Prozent bereits nach ein bis zwei Tagen. Diese kurze Überlebenszeit spricht dafür, dass die Patienten sich bereits in einem sehr schlechten Zustand befanden und dem Tode nahe waren. Dass eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung in diesen Fällen den Tod noch hinausgeschoben hätte, ist sehr fraglich. Den Studienergebnissen zufolge war die Entscheidung gegen künstliche Ernährung und Flüssigkeitsversorgung vor allem für die Angehörigen problematisch: Sie brauchten meist einige Zeit, um sich auf die kritische Situation des Patienten und dessen bevorstehenden Tod einzustellen. Wenn die betreuenden ÄrztInnen dies berücksichtigten, konnte die Entscheidung aber fast immer einvernehmlich getroffen werden. Zukunftsperspektiven Die Wahrscheinlichkeit, dement zu werden, steigt mit dem Alter; von den über 80-Jährigen ist in Deutschland jeder Fünfte dement. Angesichts dessen sollte es in unserer Gesellschaft gleichermassen akzeptiert werden, wenn man einfach nicht als Dementer weiterleben möchte und sich daher vornimmt, rechtzeitig aus dem Leben zu scheiden; wenn man Demenz umgekehrt als naturgegebenes «4. Lebensalter» akzeptiert; wenn man sich mit der Perspektive der Demenz schlicht nicht befassen will und einfach abwartet, was kommt. In einer nicht ganz fernen Zukunft wird es möglich sein, über das freiwillige Beenden seines Lebens so selbstverständlich zu entscheiden, wie über die Frage, ob man sich später eine Erd- oder eine Feuerbestattung wünscht, die ja vor 100 Jahren von der Kirche noch als Problem gesehen und politisch bekämpft wurde. Ein kleiner Anteil der Bevölkerung wird sich im hohen Alter zum vorzeitigen Beenden des Lebens entschliessen, unter anderem, um einer Demenz zu entgehen. Dann werden die einen sich den Wunsch erfüllen, mithilfe eines Medikaments einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen, während andere das Sterbefasten als allmählichen Ausklang wählen: wie jener über 80 Jahre alte Wissenschaftler, über den die Hannoversche Allgemeine Zeitung 2012 berichtete und der den Entschluss, zu sterben, noch im Anfangsstadium der Demenz in die Tat umzusetzen vermochte. Siehe auch Unsere Bibliothek über Sterbefasten Wir empfehlen u.a. das Buch von Sabine Menge: Ich sterbe, wie ich will: Meine Entscheidung zum Sterbefasten Ein beeindruckender Fall ist das Sterbefasten der Marion M., welches vom Medienprojekt Wuppertal dokumentiert wurde:https://www.medienprojekt-wuppertal.de/v_184 "Mir ist wichtig, dass verstanden wird, dass ich diese Interviews gebe, weil mir auch wegen meiner eigenen Erfahrung sehr daran gelegen ist, dass das Thema Sterben und auch durch Ärzte begleitetes Sterben aus der Tabuzone herauskommt, weil es, wenn Menschen ohne Hürden genauer hingucken können, ihnen enorm viel Leid erspart. Es wird immer ein schwieriger Lebensabschnitt bleiben, aber ich glaube, dass es eine Vermeidung von unnötigem Leid mit Verzweiflung und Schmerzen gibt. Jeder, der davon betroffen war, sehnt sich danach, nicht diffamiert und körperlich und psychisch noch belasteter zu werden, als die Situation so schon ist." In diesem Sinn versucht der Film durch ausführliche Interviews mit Marion M., ihrer Tochter und ihrem Arzt Hartmut Klähn ihre Lebens- und Sterbensgeschichte zu erzählen.
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Veetman
leitet das Institut für Leben und Sterben Spenden
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February 2022
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