Abschied nehmen"So kalt", sagte Mom und drehte ihren Kopf leicht, um meine Hände zu betrachten. "Lass sie mich aufwärmen." Ich legte meine beiden Hände in ihre, begann zu weinen und fragte mich, wer hier wen festhielt. Minuten später löste sie ihren Griff. Übte sie das Sterben während Beethovens Requiem-Messe, reiste sie in die Ferne wie jemand auf einem psychedelischen Trip? War ich, ihr einziger Sohn und eine mächtige Verbindung zur Welt der Lebenden, ein guter Partner für sie bei solchen Übungen? Ich erinnerte mich daran, wie sie, als ich ein kleiner Junge war, diese Stücke so schön auf dem Klavier gespielt hatte. Schließlich, als die Mondscheinsonate endete und die fünfte Sinfonie begann, ließ meine Mutter los und bewegte ihre Hände zu ihrem Bauch, allein mit ihren Gedanken, so wie ich mit meinen war. Mom hatte nach Beethoven gefragt, aber hörte sie ihn oder war sie einer anderen Melodie zugewandt, weit weg, dem Klang der Sphären? Was für ein Mysterium ist dieses ganze Sterben, dachte ich, so viel Nicht-Wissen. Doch mein Bauchgefühl sagte mir unmissverständlich, dass ich weiterhin Zeuge ihrer Reise, ihres Übergangs, ihres Endes sein werde. Und mein Herz wärmt mich mit einem Gefühl des Glücks, vom Schicksal oder der gemeinsamen Geschichte auserwählt zu sein, sie zu begleiten. Minuten später hielt ich mich am Geländer fest und fragte mich, wie lange ich noch bleiben würde und ob ich meine Mutter jemals wieder lebendig sehen würde, wenn ich sie verlasse. Die Tränen kamen wieder, als Mom meine Hand nahm und sie küsste. "Ich liebe dich so sehr", sagte sie leise. Ihr Lächeln war selig, ihr Blick durchsichtig. "Ich liebe alle so sehr." Ein unerwartetes Gefühl, geflüstert von einer Frau, die selbst ihren engsten Menschen gegenüber Misstrauen gezeigt hatte. War dies die raue Gerechtigkeit Gottes, die meine Mutter bearbeitete und sie dazu trieb, ihre neuen Wahrheiten auszusprechen, ungeachtet dessen, was sie ein Leben lang getan hatte, um sie zu umgehen oder zu begraben? Wie so viele von uns war sie das Opfer ihrer eigenen Geschichte und schleppte sie wie einen Kettenmantel hinter sich her. Konnte sie den Mantel abstreifen und ihr Alter zu diesem späten Zeitpunkt erreichen? Leb wohl, Gott segne dich, Mom. Ich werde dich immer lieben.
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Veetman
leitet das Institut für Leben und Sterben Spenden
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Februar 2022
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